Rosa oder Blau. Prinzessin oder Ritter. Echt jetzt?

Liebe P., lieber D.,

was läuft denn da schief? Wie unfassbar viel wir immer sprechen, diskutieren, herleiten, feststellen: Gewisse Zeiten seien doch längst vorbei! Frau am Herd, Mann im Büro. Frau im Kleid, Mann in Hose. Frau ganz schwach, Mann ganz stark… Das alles habe mit der Gegenwart doch nicht mehr das Geringste zu tun. Unsere Gesellschaft habe es geschafft. Frauen und Männer seien nahezu gleichberechtigt. Der Kampf sei so gut wie vorbei…

Aha. Und woher hast du das dann, D.: „P. darf nicht mit der Ritterburg spielen, weil P. ein Mädchen ist. Nur Jungs können Ritter sein!“ – Und Du, P., antwortest daraufhin wütend: „Dann bin ich eben eine Prinzessin!“, womit Du, D., ziemlich einverstanden bist und dich wieder dem Katapult zuwendest.

Ich blättere durch ein paar Bilderbücher, in denen es ja meistens um ein oder zwei Held*innen geht, und diese ein oder zwei Held*innen oder Protagonist*innen sind in 90 oder sagen wir 95 Prozent der Fälle ganz besonders mutige Jungs! „Nick und der Wal“ (tolles Buch übrigens, aber…), „Leo Lausemaus“ (Ihr mögt ihn…), „Beste Freunde“, (wundervoll, aber…), „der Grottling“ (ebenso, aber…), „Moritz in der Autowerkstatt“ (lustig, aber…)… Jetzt könnte man das bedauern und sagen, das sei uns versehentlich „passiert“. Aber dann habe ich noch ein Problem. Wir lesen die Bilderbücher aufmerksamer, und tatsächlich behaupten die süßen Prinzessinnen, das sei ein Glitzerschloss, während die barschen Ritterjungs zurück auf ihre Trutzburg möchten. In einem Buch über Werkzeug bohrt der starke Papa ein Loch in die Wand, während die dankbare Mama den Küchenkarton ausräumt. Die Polizei tritt fast immer männlich auf, es sei denn, sie reitet auf Pferden, dann ist gelegentlich auch eine Frau dabei. Und hier: Endlich ein Buch mit einem Mädchen im Mittelpunkt…, das sich am Ende einen „knallrosa Roller“ wünscht. Warum denn rosa? Und was sollen die Kleidchen bei den Mädchen und die Schwerter bei den Jungs? Hä? Weshalb schleichen sich all diese Kategorien, aus denen wir uns im Alltag ununterbrochen mit aller Kraft herauszuschälen versuchen, ausgerechnet in den Büchern für die Kleinsten wieder ein? Oder was heißt, einschleichen? War das je anders? Fällt das überhaupt auf – Ravensburger, Carlsen, Beltz & Co?

P. und D.: Ich kann den Tag zwar nicht erwarten, an dem Ihr Euch für Pippi Langstrumpf  und Ronja Räubertochter interessiert und eintauchen könnt in diese Geschichten. Aber Pippi wird in diesem Jahr bereits 75 Jahre alt! Das Buch wurde im November 1945 veröffentlicht. Ist denn nicht gerade jetzt, 2020, die Zeit für starke Mädchen in der Literatur, die für Euch geschrieben wird?

Ich möchte Euch ganz viel beibringen. Ich möchte mit Euch die Straße entlanggehen und Euch die Dinge zeigen, die mir auffallen und Geschichten erzählen, die niemals aufhören. Aber ich möchte auch, dass Bücher Euch von der Welt erzählen! Dass auch Bücher Euch beibringen, dass Ihr alles dürft! D., Du darfst Ritter, aber auch Eiskunstläuferin oder Bäuerin oder Eisverkäufer oder alles sein! Und P., Du darfst Prinzessin, aber auch Ritter oder Bäcker oder Akkordeonbauerin oder alles sein! Verwandelt Euch in Löwen, Füchse oder Giraffen, lauft durch Pfützen, guckt in den Himmel, schreit, wenn Euch etwas nicht passt, seid laut, seid frech, lasst euch von niemandem sagen, dass Ihr irgendetwas nicht sein dürft.

„In der Nacht, als Ronja geboren wurde, rollte der Donner über die Berge. Ja, es war eine Gewitternacht, dass sich selbst alle Unholde, die im Mattiswald hausten, erschrocken verkrochen …“ 

Wir arbeiten dran, ok? Wir wär’s mit Bibliothek heute Nachmittag?

Eure A.

 

 

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