Lieber D.,
neulich fragte ich deinen Vater, wie er dir in zwei oder drei Jahren erklären würde, wer dieser Donald Trump eigentlich ist oder war; welche Erklärungsversuche geeignet seien unter Vermeidung der Begriffe „gut“ und „böse“. Dein Vater überlegte kurz und sagte dann: „Warum sollte man „gut“ und „böse“ in diesem Fall vermeiden? Ich würde sagen: Das ist ein sehr böser alter Mann, der sehr böse Dinge getan hat.“ Nur: Wann lernt so ein kleines Kind gut von böse zu unterscheiden? Wirst du, wenn du diese Antwort hörst, nicht vielleicht an eine Szene auf dem Spielplatz erinnert werden, als du einen Jungen gehauen hast, weil er dir eine Schaufel weggenommen hatte, und jemand zu dir sagte, du seist jetzt sehr böse gewesen. Und wirst du daraufhin nicht sehr irritiert sein? Böse… Das ist doch viel zu abstrakt, oder nicht? Und kann es nicht alles meinen?
Morgens geht irgendwann die Tür auf und du hast diese tiefen Grübchen im Gesicht und ein Buch in der Hand und du springst aufs Bett und lachst und machst Kissenschlacht, rennst weg, kommst wieder zurück, schießt den Fußball durchs Zimmer, schlägst die Balkontür zu, sodass sie gerade noch heile bleibt. Und nichts von dem, was du tust, weist darauf hin, dass du das Böse bereits kennst. Andererseits…: Wenn ich traurig bin, dann kommst du zu mir, umarmst mich fest mit deinen kleinen Armen und steckst mir irgendwas zum Trost zu, die Stoffbiene Willi oder ein Feuerwehrauto, damit ich wieder lachen kann. Das heißt, du kannst die eine Stimmung von der anderen Stimmung unterscheiden und du weißt, dass die Welt, in der du seit fast zwei Jahren lebst, nicht nur ein unendlicher Spielplatz ist…
Wenn ich dann aber die Nachrichten lese … lese, dass in diesem Jahr 2017 der nahezu mächtigste Mensch der Welt lügt, sobald er den Mund aufmacht, und zwar so infam, dass man sich schämt für ihn, dass sich einem die Armhaare aufstellen und man sich umsieht in der Hoffnung, dass es allen anderen auch so geht… Dass dieser steinreiche Mensch also unter dem ganz schön dünn gewordenen Deckmantel der Gemeinnützigkeit und im Namen des geliebten Volkes seine höchst persönlichen perversen Interessen durchsetzt, unentwegt und ohne, dass mal jemand aufschreit und ausspricht, was offensichtlich für alle Welt ist.
Wenn ich also das alles lese und sehe und du mir dann ins Blickfeld springst und ich dir folge bei deinen wichtigen Missionen – das Fahrradschloss in die Waschmaschine räumen; das Stofftier aus dem Fenster werfen; die ausgekaute Apfelschale im Wohnzimmer verteilen – dann bist du das Gegenteil von böse. Unmöglich, dir zu erklären, was Bösartigkeit, Skrupellosigkeit und Schuld sind, diese viel zu großen Worte, die neben dir, während du in deinen Bauklötzen stehst, verkümmern wie ein Sträußchen welkendes Grünzeug.
Ich denke noch länger darüber nach…
Deine A.