Vielleicht morgen. Vielleicht nie.

Lieber D., liebe P.,

Alles war normal. Alles war wie immer. Bis jemand an der Tür klopfte.
Das war mehr als nur ein Klopfen. Jemand hämmerte wie besessen dagegen, sodass wir erst dachten, vorm Haus wäre ein schlimmer Unfall passiert oder etwas in der Art. Das ist auch der Grund, warum wir schnell öffneten.

Vor der Tür stand eine dieser Personen, die sich nicht ankündigen. Die sofort einen Fuß in die Tür stellen und eindringen, ohne groß zu fragen, ob es gerade passt. Darüber könnte man sich ja auch freuen. Aber ich meine eben eine dieser Personen, über die sich niemand jemals freut. Eine dreiste, fiese, dumpfe Person, die sich sofort an den Tisch setzt und da sitzen bleibt.

Sie sagt, es sei nur für ein paar Tage, ganz bestimmt. Und wir nicken und gehen in ein anderes Zimmer und stecken die Köpfe zusammen. Aber da ist nichts zu machen. Es ist eine dieser Personen, die – wenn sie erst einmal sitzen – nicht mehr von der Stelle weichen oder höchstens, wenn sie Hunger hat. Dann schlurft sie zum Kühlschrank, zieht alles raus und es ist ihr egal, ob Gläser auf den Boden knallen und sich da unten eine Miniaturlandschaft aus Marmeladen-Lava und Scherbengestein ausbreitet.

Am Anfang spricht die Person von Tagen. Dann vergehen Wochen. Monate. Inzwischen sitzt sie seit einem Jahr an unserem Tisch. Und wir? Wir haben unsere Rücken durchgedrückt. Wir stehen meistens. Sehen immer so aus, als wollten wir irgendwo hin. Wollen wir auch. Aber können nicht. Diese Person ist immer da. Glotzt uns an. Glotzt uns aus ihren düsteren Augen an und beobachtet jede noch so kleine Bewegung. Selbst bei euch Kindern. Ihr tut so, als sei sie nicht da. Aber ich weiß, dass ihr Angst vor ihr habt. Vor allem nachts. Ihr träumt, sie kommt vom Wohnzimmer ins Kinderzimmer und weckt euch auf. Ihr träumt, dass sie anfängt, zu sprechen. Dass sie euch irgendetwas erzählen will mit ihrer komischen Stimme. Ihr träumt, dass sie böse ist. Diese Person, die da in unserem Wohnzimmer sitzt. Seit über einem Jahr.

Die meisten kennen das: Selbst, wenn freundliche Menschen bei einem zu Hause wohnen, dann ist das etwas anderes. Dann bewegt man sich ganz anders durch die Wohnung. Dann ist alles ein bisschen flächiger. Das Gewohnte ist eben verändert. Für alle. Und die Rituale werden vermisst. Von allen.
Und nun stellt euch erst vor, das ist kein freundlicher Besuch. Sondern genau diese Person. Am Anfang sah sie noch normaler aus. Aber mittlerweile ist sie ganz fahl geworden im Gesicht. Zum Kühlschrank geht sie auch nicht mehr; bleibt immer an einem Ort. Und sie hat angefangen, ganz plötzlich Dinge zu tun, die niemand erahnen kann. Sie springt auf und schreit so laut, dass das ganze Haus zittert. Oder sie ist minutenlang still und zuckt dann auf einmal so komisch mit den Schultern. Wir können nichts vorhersagen. Am besten ist es, wenn sie tagelang gar nichts macht. Aber das kommt selten vor.
Sie hat auch angefangen zu sabbern. Es gehört inzwischen dazu, dass wir ihren Speichel regelmäßig vom Boden aufwischen, damit das Holz nicht aufweicht.
Sie ist bleich. Und sie sabbert. Und sie kreischt aus dem Nichts ins Leere.

Für alle, die behaupten, es gebe Corona nicht oder die Pandemie sei eine Erfindung von Bill Gates oder Madonna oder Karl Dall oder Elvis Presley – denen muss ich sagen: Doch. Dieses sabbernde, nervige und beängstigende Etwas gibt es wirklich. Es sitzt seit über einem Jahr in unserem Zuhause. Hockt da herum. Mit riesigen Augen, die beinahe aus dem Gesicht fallen. Wir können es sehen. Jeden Tag.
Und wisst ihr was? Es sitzt nicht nur bei uns. Es sitzt auch bei allen anderen. Wenn es dunkel wird und die Lichter angehen, dann können wir es sehen. Es ist überall. Und es sabbert und ist hässlich und kann keine guten Geschichten erzählen. Und alle Leute bewegen sich wie fremdgesteuert. Warten. Halten das aus.

Manchmal fragen wir die Person, wann sie wieder geht. Meistens antwortet sie nicht. Aber manchmal sagt sie in einem Ton, der irgendwo zwischen Langeweile und Müdigkeit wabert: „Vielleicht morgen. Vielleicht nie.“ Und dann verzieht sich der Mund zu so einer Art Lächeln, das uns eine latente Übelkeit in den Hals bringt und dann verlassen wir den Raum, das Haus, rennen zum Hügel und rasen mit dem Schlitten den Berg hinunter, schneller als alle anderen – für die kurze Freiheit.

Am Abend erzählen wir uns Märchen. Wünschen uns Dinge, die wir machen, wenn dieses Geschöpf aus dem Wohnzimmer verschwunden ist. Schreiben die Wünsche auf eine Liste und lachen alles weg. – Manchmal schreien wir uns an. Manchmal ist gar nichts schön. Manchmal bin ich nur müde. Kein Gedanke hat Platz vor lauter Müdigkeit. Dann heule ich so, dass mich niemand sieht und denke: Es gibt diese Person, die dort oben an unserem Wohnzimmertisch sitzt. Überall gibt es sie. In jeder Wohnung. Hinter jedem Haus. In jeder noch so dunklen Ecke dieser Stadt. Und es macht alle Leute zu anderen Leuten. Und alle unterschätzen das. –

Vor über einem Jahr hämmerte etwas gegen Türen, kam rein und erschütterte die Welt.
Ich frage euch ständig, was wir als erstes tun, wenn dieses Ding verschwunden ist. P. sagt heute: „Ich will mit Emilia Rollschuhfahren.“ D. sagt heute: „Ich will einen riesigen Ausflug machen. Und ich will zu Oma und Opa.“

Und ich? Ich will in die Columbiahalle. Aufs Konzert von den Glass Animals.

Eure A.

Heat WaVes

Road shimmer
Wiggling the vision
Heat heat waves
I’m swimming in a mirror

Road shimmer
Wiggling the vision
Heat heat waves
I’m swimming in a

Sometimes, all I think about is you
Late nights in the middle of June
Heat waves been faking me out
Can’t make you happier now

Sometimes, all I think about is you
Late nights in the middle of June
Heat waves been faking me out
Can’t make you happier now

Usually I put
Something on TV
So we never think
About you and me

But today I see
Our reflections 
Clearly in Hollywood
Laying on the screen

You just need a better life than this
You need something I can never give
Fake water all across the road
It’s gone now the night has come but

Sometimes, all I think about is you
Late nights in the middle of June
Heat waves been faking me out…

Ein Kommentar zu “Vielleicht morgen. Vielleicht nie.

  1. Du triffst den Nagel immer auf den Kopf.
    Sag dieser sabbernden, nur Unheil stiftenden Person, sie soll sich gefälligst verdrücken oder sich
    bei den Coronaleugnern einnisten.
    Danke
    I&W

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